Finnland

Tampere

Heute ist Montag, es ist der 16. Juli 2007 – wir sind in Finnland. Wir, Klaas und ich, hatten uns erst vor kurzem kennengelernt und uns überlegt, dass es eine gute Idee sei zusammen eine Radtour zu machen. Wir wollten einfach verreisen. Idealerweise nach Skandinavien. Nach kurzer Recherche fiel die Wahl auf Tampere zumal man dort mit Ryanair (vermeintlich) günstig hinkommt.

Der Abflug in Bremen heute morgen stellte eine kleine Hürde dar. Unser Flugzeug ist verspätet. Die nervösen Sicherheitsbeamten nehmen Klaas sein neues und teures Faltschloss ab und nur mit viel Überredungskunst dürfen wir die Spanngummis für unser Gepäck mitnehmen. Der Flug selbst verläuft, von der Verspätung und der Dauerwerbeveranstaltung abgesehen, ohne besondere Vorkommnisse. In Tampere am Flughafen hat auf dem Klo jemand in der Wand die weise Warnung

Ryanair = Nightmare

hinterlassen. Hilft mir jetzt aber auch nicht mehr. Unser Gepäck purzelt unmotiviert von einem Laufband in die Wellblechhalle die uns als Terminal verkauft wird.

Egal. Jetzt sind wir hier. Jetzt kann es losgehen. Wir packen unsere Räder und machen uns auf den Weg.

Es ist bewölkt. In Tampere gehen wir in einem Supermarkt auf Einkaufstour und füllen unsere Taschen mit Vorräten auf. Vor allem Nudeln, Tomatensoße und Fleischklöße landen im Einkaufskorb. Außerdem gibt’s Brot, Käse und Sandwichsoße – auf letztere besteht Klaas. Ich hingegen möchte noch einen Teil unserer Reisekasse in Schokolade anlegen.

Der Tag verläuft prima. Es gibt zwar ein paar kurze Schauer, aber nichts Wildes. Später klart es auf und die Sonne kommt raus, sodass es noch richtig warm wird. Nach immerhin 86 Kilometern und guten 4 Stunden Fahrzeit suchen wir uns einen Zeltplatz am Nordufer des Vehkajärvi (See) wo Klaas ein fantastisches Nudelgericht für mich kocht.

Eine Fährfahrt die ist lustig

17.07.2007: Wir entscheiden unsere heutige Etappe durch eine Fährfahrt zu unterbrechen und so gut 15 Kilometer über den Päijänne zu schippern. Der Päijänne ist mit 120 Kilometern Ausdehnung der längste See Finnlands. Bis zum Fähranleger auf der Halbinsel Tehinniemi sind es erstmal 35 Kilometer die wir locker rollen.

Der „Fähranleger“ stellt sich als Mini-Landzunge mit Steg und einem Holzverschlag heraus – es macht auf mich nicht den Eindruck als gäbe es hier aktiven Betrieb – obwohl es immerhin einen Fahrplan gibt. Klaas hingegen ist zuversichtlich. Tatsächlich sammeln sich noch andere Menschen ein und am Horizont taucht ein Schiffchen auf. Die Fährfahrt ist eine lustige Abwechslung mit heiteren Finnen. Nach einer knappen Stunde kommen wir auf der Insel Judinsalo an. Weiter geht’s mit dem Rad und nach knappen 20 Kilometern biegen wir nach Luhanka ab um uns in einem Supermarkt neu einzudecken.

Insgesamt fahren wir heute über 100 Kilometer. Am Abend finden wir am Muuratjärvi einen prima Zeltplatz.

Wechselhaft-Wolkig

Es ist Mittwoch der 18.07.2007 – ein Blick aus dem Zelt verschiebt das Stimmungsbarometer auf das Level „so lala“. Das Wetter könnte besser sein, wir sind müde und kommen nur mühsam in die Gänge.

Am Nachmittag nötigt uns die wechselhafte Wetterlage vermehrt zu kurzen Umziehpausen. Gegen Abend gehen die Schauer in kontinuierlichen, strömenden Regen über. Immerhin weiß man so woran man ist. Alles ist nass. Nach Erreichen der magischen Kilometermarke von 100 (#100gehenimmer) suchen wir uns einen Platz zum Zelten. Wir sind nicht sehr wählerisch und landen bei Kilometer 102, nicht weit weg von der Straße, an einem eher modrigen See.

Der Donnerstag verläuft ähnlich mit dem Unterschied, dass unsere Sachen vom letzten Tag noch feucht und klamm sind. Richtig schön ist es jetzt morgens in die kalten, nassen Schuhe „einzusteigen“. Gegen Mittag trockenen wir unseren Kram (insbesondere das Zelt) in der durchbrechenden Mittagssonne vor einem Supermarkt. Eine aufgeregte Verkäuferin kommt raus und klärt uns freundlich, dass wir hier – auf dem Parkplatz – nicht zelten dürften.

You can not camp here!

Bei den wirklich schönen Zeltmöglichkeiten die es in Finnland gibt, haben wir das sicher nicht vor. Und schon gar nicht am Mittag. Und dennoch suchen wir uns am Abend, kurz hinter der Ost-Charme-Platten-Stadt Kuopio, einen Zeltplatz mit Dach: An einem Badesee quartieren wir uns in einem Umkleidehäuschen ein (Google Streetview) und hängen all unsere Klamotten zum Trocknen auf.

Kuopio – Oulu

Nachdem die letzten zwei, drei Tage wettertechnisch herausfordernd waren, wird’s nun deutlich besser. Bei Tageskilometer 75 verlassen wir die etwas stressige E63 und biegen auf die weniger befahrene 88 ab – das hebt das Urlaubsfeeling. Kurz vor unserem Tagesziel, einem Campingplatz am Salahminjärvi (Streeview) wechseln wir auf die 5911. Und wie die Nummer es schon vermuten lässt, lässt der Verkehr nochmal deutlich nach. Er sinkt nahezu auf Null, denn es handelt sich um eine kleine Schotterpiste.

Auf dem Campingplatz können wir zum ersten Mal unsere Klamotten in einer richtigen Waschmaschine waschen – und uns selbst unter warmem fließenden Wasser (Dusche). Danach fühlt man sich wie neu. Dementsprechend gut schlafen wir auch.

Auf der Piste geht’s nach dem Frühstück am nächsten Morgen weiter. Kaum Verkehr, dafür Dreck und Staub. Irgendwas ist ja immer. Unser Zelt schlagen wir wieder nach gut 100 Kilometern auf. Unterhalb von einem Rastplatz an einem fließenden Übergang zwischen zwei Seen finden wir einen super Platz – natürlich mit Blick auf’s Wasser.

Bis Oulu sind es noch gut 120 Kilometer; diese Etappe haben wir uns für heute (22.07.2007) vorgenommen. Die Straße führt uns den ganzen Tag mehr oder weniger parallel zum Oulujoki bis er bei Oulu in den Bottnischen Meerbusen mündet. Unweit der Mündung quartieren wir uns für zwei Nächte auf dem sehr schön am Meer gelegenen Campingplatz ein.

Restday in Oulu

Wir tingeln heute nur durch die Stadt und gammeln am Strand rum.

Oulu – Vaasa – Pori

24.07.2007: Irgendwie haben wir es heute dann doch noch auf unsere Räder geschafft. Erst spät verlassen wir Oulu und kommen dementsprechend nur knappe 60 Kilometer weit – quasi zur nächsten Bucht. Dort zelten wir am Rand eines kleinen Hafens. Der Sonnenuntergang ist ganz hübsch (siehe Bild unten). Sonst ist’s hier aber eher schrabbelig (Street View).

Aus dem Tagebuch zum 25.07.2007: Warm, Sonne, Küste, Loch im Gelände (siehe Bild), Zelt am Loch. Wie das Loch in das Gelände geraten ist, kann ich mir nicht erklären. Es gibt hier eine Badestelle. Alles ganz hübsch. Nachts gegen 1:30 kommt jemand und mäht hier den Rasen ¯\_(ツ)_/¯.

Was bewegt jemanden dazu um 1:30 in der Nacht an einem öffentlichen Badesee den Rasen zu mähen?!

Der Folgetag (26.07.2007) verläuft unspektakulär. Wir legen wieder ein gutes Stück Strecke zurück. In Kokkola überzeugen wir uns nochmal davon, dass „finnische Platte“ nicht unserem Architekturgeschmack entspricht. Sehr schön ist hingegen unser Zeltplatz an einer Badestelle (Öja simstrand).

Öja simstrand

Die Badestelle verfügt über einen Steg und einen kleiner Sprungturm. Ein paar junge Finnen turnen uns etwas vor. Sehr schön. Später testen sie noch unsere Finnischkenntnisse. Die beiden Wörter die wir können sind Kuplamuovi (Luftpolsterfolie) und Ripuli [Die Erklärung zu Ripuli findet man in diesem Video; Danke Hape!]. Die Finnen ziehen sich dann irgendwann zurück, dafür kommen immer mehr Mücken. Klaas kocht auf dem Steg wieder ein exquisites Nudelgericht aus Nudeln, Tomatensoße und Fleischbällchen für uns und wir gehen pennen. Erfreulicherweise kommt nachts niemand um den Rasen zu mähen.

Exkursion zum AKW Olkiluoto

Es ist der 1. August. Gestern sind wir nach einer 126 Kilometer-Etappe über die E8 in Pori angekommen. Klaas macht heute Pause aber ich habe die Idee einen Abstecher auf die Halbinsel Olkiluoto zum gleichnamigen Kernkraftwerk-Komplex zu machen. Die Finnen haben dort 2005 begonnen neben die zwei alten Blöcke 1 und 2 (von 1978 und 1979) einen dritten Reaktor zu bauen. Das Projekt ist in einem Punkt weltweit einmalig: Man hat sich im Vorfeld (verrückt!) Gedanken über die Endlagerung gemacht und glaubt eine Lösung gefunden zu haben. Gerade einmal drei Kilometer vom Reaktorkomplex entfernt wird ein Endlager für radioaktive Abfälle gebaut. Selbst hochradioaktiver Müll kann dort in 450 m Tiefe gelagert werden. Ob das wirklich eine gute Idee ist, wird sich in den kommenden 100.000 Jahren herausstellen.

Nachtrag 2021: Es kam zu „leichten“ Bauverzögerungen und Problemen. Teurer ist’s auch geworden: Aus veranschlagten 3 Mrd. sind inzwischen über 6,6 Mrd. geworden ¯\_(ツ)_/¯.

Pori – Tampere

Es ist inzwischen der 3. August. Gestern haben wir noch einen Tag Pause in Pori gemacht und Zeit am Strand verbracht. Heute ist nun also der letzte Tag „on the Road“ – knapp 135 Kilometer sind es bis Tampere. Klaas Motivation ist eher so mäßig was angesichts der sehr finnischen Straßenführung (geradeaus, geradeaus, hügelauf, hügelab) und der mäßgen Wetterlage nachvollziehbar ist. Nach knapp 45 Kilometern steigt er in Koski in den Bus.

In Tampere quartieren wir uns für die letzten Tage auf dem Campingplatz ein. Wir schauen uns ein wenig die Stadt an, kaufen Kuplamuovi im Baumarkt Außerdem treffen wir noch Sami den ich vom Chatten kenne und der uns ein wenig seine Stadt zeigt.

Am 7. August geht’s dann zurück. Wieder mit Ryanair. Geht so.

Route

The End

Mein Verhältnis zu Finnland bleibt gespalten. Die Straßen sind i.d.R. von Wald gesäumt der die Sicht behindert. Es geht hügelauf und hügelab ohne dass man jemals eine Höhe erreicht die eine Fernsicht erlaubt. Die Reliefierung ist jedoch ausreichend um wirksam als „Flowbremse“ zu fungieren.

Großartig sind hingegen vor allem die Stellen der Tour an denen der Blick in die Ferne zugelassen wird – i.d.R. aufgrund von Seen oder der Küste. Es lohnt sich daher kleine Abstecher zu machen und die eigentlich Route zu verlassen. Hier findet man auch super Plätze an denen hervorragend wild gezeltet werden kann. Oft ist sogar einfache Infrastruktur (Sitzbänke, Feuerstelle, Mülleimer, WC) vorhanden.

Es war eine gute Idee zusammen eine Radtour zu machen.

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